Zauberglaube und Hexenprozesse in der Grafschaft Hanau-Münzenberg im 16. und 17. Jahrhundert
Peter Gbiorczyk führt uns mit seiner Untersuchung zu Zauberglauben und Hexenprozesse in eine aus heutiger Sicht fremd anmutende Welt ein, die aber für damalige Menschen eine reale Wirklichkeit darstellte und für die vielen Beschuldigten oft grausam endete.
In jüngerer Zeit sind Zauberglaube und Hexenprozesse verstärkt in den Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses gerückt: sei es aus religions- oder sozialgeschichtlicher, sei es aus dezidiert feministischer Perspektive. Es wird geschätzt, dass in den drei Jahrhunderten seit Mitte des 15. Jahrhunderts allein im Heiligen Römischen Reich rund vierzigtausend so genannte „Hexen“ verbrannt wurden – eine unvorstellbar große Anzahl!
Mit der Begrenzung auf die Ereignisse in der Grafschaft Hanau-Münzenberg und ihren unterschiedlichen Territorien gelingt es Peter Gbiorczyk, die meist abstrakt anmutenden Opferzahlen mit konkreten Schicksalen einzelner Menschen – zumeist Frauen! – zu verbinden.
Die akribische Durchsicht der einschlägigen Akten führt zu einer Fülle von Einblicken in die Art und Weise, wie der „Hexenglaube“ allseits instrumentalisiert wurde: Wenn es Konflikte in alltäglichen Lebensbeziehungen, also im sozialen Nahbereich, gab, war die Denunziation als „Hexe“ oder „Zauberer“ wohlfeil, um sich missliebiger Personen zu entledigen. Es ist bedrückend zu lesen, dass dergleichen Verleumdungen keineswegs anonym waren, sondern gegenüber den staatlichen Behörden mit eigener Namensnennung erfolgten und so eine prozessuale Maschinerie in Gang setzten, die den Beschuldigten kaum Möglichkeit zur Verteidigung oder Gegenwehr ließ.
Viele der angeblichen Geständnisse, mit dem Teufel im Bunde zu sein, erfolgten unter der Folter. War aber das Geständnis erst abgelegt, lautete das Urteil meist auf Todesstrafe – und zwar durch Verbrennen. Glaubte man strafmildernde Gründe erkannt zu haben, wurde die Todesstrafe durch Enthauptung vollzogen. Für uns heute kaum vorstellbar und nachvollziehbar ist das Klima der Angst, das so das Zusammenleben prägte. Auch die „Frühe Neuzeit“ war finster!
Was Peter Gbiorczyk detailliert und sachkundig für den Raum der Grafschaft Hanau-Münzenberg vor Augen führt, ist Sozialgeschichte „von unten“, also eine Darstellung aus der Sicht der Betroffenen und ihres Schicksals. Ausführlich zitiert er die Verhörprotokolle und Prozessakten, um ein umfassendes Bild für einen begrenzten und überschaubaren Raum zu gewinnen. Die Grafschaft Hanau-Münzenberg ist für den Furor, den Zauber- und Hexenglaube auslösten, nur ein Beispiel – aber ein sehr sprechendes und erhellendes.
Oft kommt bei den einzelnen Lebensschicksalen auch die Rolle der evangelischen bzw. katholischen Kirche in den Blick. Sie ist ambivalent. Von geistlicher Seite gab es allenfalls in Einzelfällen Proteste gegen das Strafmaß. Aber zu einer grundsätzlichen Kritik der Hexenprozesse kam allgemein erst unter dem Einfluss des entstehenden aufgeklärten Denkens.
Es ist verdienstvoll, dass sich Peter Gbiorczyk die Mühe gemacht hat, dieses dunkle Kapitel der Regionalgeschichte im 16. und 17. Jahrhundert auszuleuchten. Leserinnen und Lesern bleibt Geleitwort 4 es anheimgestellt, den Bezug in unsere Gegenwart herzustellen und nach der gesellschaftlichen Auswirkung von Stigmatisierungen, Verschwörungsmythen und Fake News für unser heutiges Gemeinwesen zu fragen.
Kassel, im März 2021
Prof. Dr. Martin Hein